Jan-Philipp Sendker, von Haus aus Journalist, kennt als ehemaliger Asienkorrespondent die Verhältnisse in China recht genau. Sein zweiter Roman ist deshalb beinahe auch so etwas wie eine China-Reportage geworden. Schon als solche wäre das Buch lesenswert! Doch außerdem und in der Hauptsache ist Das Flüstern der Schatten eine Studie über Verlust und Trauer, ein Krimi und eine Liebesgeschichte. Das ist gewiss eine ganze Menge, was Sendker hier zwischen zwei Buchdeckeln auf knapp vierhundertfünfzig Seiten untergebracht hat. Kann so etwas gut gehen? Anfangs hat man tatsächlich seine Zweifel, denn der Autor nimmt nach und nach so viele Fäden auf, dass einem ganz bange wird. Doch es gelingt ihm tatsächlich, das alles am Ende zu einem überaus stimmigen Ganzen zu fügen. Nach dem Tod seines kleinen Sohnes zieht sich Paul Leibovitz in seine eigene Welt zurück. In seiner Ehe hatte es schon vorher nicht gestimmt. Eigentlich wohl von Anfang an. Das wird ihm endgültig klar, nachdem die Ärzte die Diagnose für den Kleinen gestellt haben und seine Frau sich fortan noch mehr in ihre Arbeit stürzt, als sie dies ohnehin schon vorher getan hatte. Und diese Arbeit ist immer möglichst weit weg, irgendwo anders in der Welt — auch und erst recht jetzt, wo ihr Sohn und ihr Mann sie doch am meisten gebraucht hätten. Paul Leibovitz ist das bald gleichgültig. Ebenso wie das ganze Leben um ihn herum ihn nicht mehr sonderlich interessiert. Doch dann verschwindet der Sohn einer Amerikanerin. Ihr Leid lässt ihm sein eigenes erst wirklich bewusst werden — und ehe er sich versieht, steckt er mitten drin in den Ermittlungen um das Verschwinden des Kindes, die ihn Vieles lehren, nicht nur über düstere kriminelle Verstrickungen. Ein sensibler, mit souveräner Feder geschriebener Roman über das Leben, über China, und nicht zuletzt über die Liebe. — Alexander Dohnberg