Jonathan lebt als erfolgreicher Fotograf und Eventmanager in Berlin. Mit seiner Frau Jana, die als ehemalige Primaballerina der Deutschen Oper eine Ballettschule betreibt, und ihrer künstlerisch hochbegabten Tochter Giselle führt er ein arbeitsreiches aber erfülltes Leben. Doch dann bricht das Grauen in Jonathans Wohlstandsleben ein: Seine von ihm vergötterte Tochter Giselle wird bei einem tragischen Verkehrsunfall tödlich verletzt. Jonathans Welt bricht zusammen und er verliert jeden Halt. Während Jana nach Monaten der Trauer langsam wieder in den Alltag zurückkehrt, zieht sich Jonathan immer weiter zurück, ertränkt sein Unglück in Alkohol und rutscht ab in Depression und Verwahrlosung. Als schließlich auch seine Ehe zerbricht, flüchtet Jonathan ziellos aus Berlin und landet zufällig in einer abgelegenen, heruntergekommenen Pension in der Toskana. Dort trifft er auf die blinde Sofia, die ein Ebenbild seiner toten Tochter ist. Mit ihr beginnt Jonathan ein neues Leben – bis die Vergangenheit ihn wieder einholt und sein lang aufgestauter Hass und Rachegefühle ihn zum Mörder werden lassen… Auf mehreren Erzählebenen inszeniert Sabine Thiesler den tragischen Abstieg Jonathans, der in einer unheilvollen Spirale aus Wut, Trauer und Hass gefangen ist. Fassungs- und hilflos beobachtet der Leser, wie Jonathan auf den Abgrund zusteuert und dabei eine schreckliche Spur hinterlässt. Mit Der Menschenräuber knüpft Thiesler an die Erfolge ihrer letzten drei Psychothriller (Der Kindersammler, Hexenkind und Die Totengräberin) an. Der Einbruch des Grauens in den Alltag, das Zerbrechen der vermeintlich stabilen Eckpfeiler der Existenz und der unaufhaltsame Abstieg in eine Welt voller Einsamkeit, Hass und Rache sind die zentralen Themen des Romans. Die deutsche Erfolgsautorin erzählt flüssig, unterhaltsam und größtenteils spannend, wobei die Handlung im letzten Drittel stark an Fahrt gewinnt. Da dabei aber die Glaubwürdigkeit zeitweise auf der Strecke bleibt, konnte der Roman mich leider nicht ganz überzeugen. Wer sich daran nicht stört, den erwartet ein unterhaltsames Psychodrama über Obsession, Rache und menschliche Abgründe, das zu weiten Teilen vor der malerischen Kulisse der Toskana spielt. — Alexandra Plath